Die Nilpferd-Bühne
Es war einer der verheerendsten Lachanfälle meines Lebens.
Zu jener Zeit stand im Tierpark Hellabrunn noch das alte Elefantenhaus, ein zentraler Bau mit rundum angeordneten Freigehegen für diverse Großtierarten, die sich bei Bedarf ins Innere des Hauses zurückziehen konnten. Auch ich hatte mich dorthin zurückgezogen, um mich aufzuwärmen, denn an diesem Tag war es bitterkalt. Und ich war nicht allein, denn eine Menge Leute hatten das selbe Bedürfnis.
Entspannt lehnte ich am Geländer des Nilpferd-Innengeheges und schaute hinunter in das dreckige Wasser des großen Beckens, in dem träge der Nilpferd-Bulle schwamm. „Schwimmen“ in dem Sinn, wie ein Knödel in der Suppe „schwimmt“.
Viel sah man nicht von ihm, denn die meiste Zeit ragte nur sein Rücken aus der Brühe wie eine ovale Insel. Und ab und zu, wenn er atmen musste, tauchten nahe dem einen Ende dieser Insel zwei kleine, wedelnde Ohren auf und zwei enorme Nüstern, die sich öffneten wie Vulkankrater und einen Blas erzeugten wie von einem Buckelwal. Die Ausmaße des Tieres waren wirklich beeindruckend.
Nachdem ich diese Vorgänge einige Zeit beobachtet hatte, bemerkte ich, daß Aktivität in das Nilpferd kam. Äußerst gemächlich drehte es seinen Kopf in Richtung der breiten Stufen, die auf der gegenüberliegenden Seite des Beckens den Ausstieg bildeten, und begann unendlich langsam, seinen gewaltigen Körper in Bewegung zu setzen.
Weil ich ein böser Mensch bin, rief ich laut: „Ui, schau: jetzt steigt er aus der Wanne!“
Da ich alleine war, rief ich das einfach so in die leere Luft, und sofort stimmten andere ein:
„Ja, kommt her, das große Nilpferd kommt raus! Das Nilpferd kommt raus!“
Und alle kamen sie her.
Sie strömten zum Nilpferd-Becken und begannen, sich am Geländer zu drängen.
Ich jedoch zog mich lieber ein Stück zurück. Ich sah noch, wie sich hinter mir die Lücke schloss, wie sich welche in den entstandenen Platz quetschten. Selber postierte ich mich ein paar Meter weiter hinten, denn das erschien mir besser.
Was dann folgte, war wunderbar.
Es war wie im Theater, wo anfangs der Vorhang noch geschlossen ist. Ich sah nur die Hinterfront der ganzen Leute, die komplett mein Blickfeld füllten, und konnte nur ahnen, was sich auf der anderen Seite abspielte. Ahnen und hoffen.
Ich musste ein wenig warten.
Dann plötzlich begannen die Leute zu schreien und in alle Richtungen zurückzuspringen. Dadurch öffnete sich jener ‚Vorhang‘ und gab den Blick frei. Den Blick auf diesen riesigen, runden Nilpferdhintern, wie er mit seinem kleinen, doch stämmigen Schwänzchen propellerte, dabei durch diesen Propeller kackte, und sich das alles sehr weit verteilte.
Der Anblick war einfach großartig!
In aller Deutlichkeit sah ich die Fladen fliegen!
Nie werde ich ihn vergessen, diesen Anblick!
Ob der Nilpferd-Bulle das wohl mit Absicht machte?
Natürlich machte der das mit Absicht!
In der Natur wenden Nilpferd-Bullen diese Heckpropellertechnik an, um zwecks Reviermarkierung ein Gebüsch möglichst flächendeckend zu imprägnieren. Der im Tierpark hatte, zumindest drinnen, kein Gebüsch zur Verfügung. Aber das machte nichts, denn er hatte eine andere Anwendungsform gefunden.
Und er bekam schließlich auch immer prima Rückmeldung: je lauter das Geschrei, desto besser war ihm seine Streuung gelungen. Der hatte da schon ausgiebige Versuchsreihen durchgeführt; da bin ich mir ganz sicher!
Er wusste ganz genau, wie er das am besten macht.
Deshalb war er auch am Anfang gar so betont langsam seinem Bad entstiegen:
damit die Leute Zeit hatten, sich zu versammeln.
Der wusste, was er tat!
Für mich das Schlimmste kam jedoch erst noch.
Natürlich bin ich bei dieser Szene furchtbar zusammengebrochen. Und natürlich war allen klar, warum ich so lachte. Und deshalb schauten sie mich an, die Leute. Vor allem die, die getroffen worden waren.
Und diese wirklich sehr ausdrucksstarken Blicke, die gaben mir den Rest.
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