Es ist ziemlich sicher, dass ich nie im Leben die Unionsparteien wählen werde. Die AfD schon dreimal nicht. Die Aussage von Linnemann ist in der Form mindestens unglücklich. Als in Thüringen ein FDP-Ministerpräsident mit AfD-Stimmen gewählt wurde, stand ich vor der Parteizentrale der Liberalen und habe demonstriert. Daher verstehe ich Deine Position sehr gut und hatte sie lange Zeit auch.
Es stellt sich aber die Frage, wie man den Geist AfD wieder in die Flasche bekommt, weil das eben im Kern (und im Gegensatz zur Union) eine Partei ist, die mindestens einen vollkommen anderen Staat haben will, der nichts mit unserer Idee von einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat zu tun hat. Daher muss diese Partei wieder klein geschrumpft werden. Nur wie?
Im Moment haben wir die Situation, dass die Position, dass es keinerlei Form der Zusammenarbeit zwischen Union und AfD gibt, dazu führt, dass die Union Kooperationen mit der Linken und dem BSW eingehen muss, die zwar im Gegensatz zur AfD auf den Beinen unserer demokratischen Grundordnung stehen, aber in ganz weiten Teilen ein diametraler Unterschied zu den Unionsparteien sind. Das ist etwas, was an der DNA der Unionsparteien schleift, was wiederum schlecht ist, wenn man will, dass Wähler rechts der Mitte zurück von einer Rechtsaußen zu den Mitte-Rechts-Parteien CDU/CSU gehen.
Angesichts einer schwachen FDP drängt das aktuelle Vorgehen der Union im Umgang mit der AfD die Unionsparteien in Koalitionen mit SPD und/oder Grünen, wenn man mal den bayerischen Sonderfall Freie Wähler außen vor lässt. Diese Koalitionen sorgen dafür, dass sich die Unionsparteien in der Migrationspolitik nicht so positionieren können, wie sie das inzwischen wohl wollen würden. Auf der einen Seite zumindest aus meiner Sicht gottseidank, weil ich es - wenn man Migration isoliert betrachtet - für die richtige Entscheidung halte, eine humanistische Migrationspolitik zu haben. Eine klare Abkehr vom Kurs von Angela Merkel, der bei vermutlich allen, die in den letzten Jahren zur AfD gewandert sind, begrüßt werden würde, ist damit aber nicht möglich. Ich glaube aber, dass, wenn die Union im Millieu der AfD-Wähler Menschen zurückgewinnen will, sie genau dieses klare Signal braucht: Das Zuwanderung begrenzt und gesteuert wird, dass der Staat die Kontrolle hat. Nicht nur an der Grenze, sondern auch im Land, wenn es um die Schnittmenge zwischen Migration auf der einen Seite und Polizeiarbeit, Sozialarbeit, medizinischer Arbeit, Schule, Ausbildung, Arbeitsmarkt auf der anderen Seite geht. Die AfD-Wähler haben das Gefühl, dass hier ein Kontrollverlust vorliegt. Wenn 20 % der Menschen in diesem Land dieses Gefühl haben, dann müssen die demokratischen Parteien darauf eine Antwort haben, die von dem abweicht, was sie bis jetzt gemacht haben und dazu geführt hat, dass 20 % der Menschen aus dem demokratischen Spektrum fallen. Diese Antwort an diese Menschen kann aus ideologischen, historischen Gründen nur die Union, nicht rot, gelb oder grün, geben. Ich glaube fest, dass rot, gelb, grün in der Sache die besseren Antworten hätten. Aber es sind nicht die Antworten, die Menschen zurück ins demokratische Spektrum bringen würden.
Zusätzlich sorgt die Brandmauer in ihrer aktuellen Form dafür, dass die CDU auf den Deckel bekommt, wenn sie ihre eigenen Positionen ins Parlament einbringt, weil sie darauf achten muss, dass die AfD nicht die entscheidende Stimme für die eigene Position der CDU abgibt. In den Augen rechter Wähler werden die Unionsparteien damit im Ergebnis zu Parteien, die ideologisch biegbar bis zur Selbstverleugnung sind, im konkreten Regierungshandeln eine liberalere, linkere Politik als die, für die sie steht machen und oben drauf aufgrund eines in deren Augen dominanten linken Mainstreams oder Zeitgeist Angst haben, die eigenen Positionen einzubringen. Das ist kein attraktives Angebot für Menschen rechts der Mitte, zurück ins demokratische Spektrum zu kommen. Und so fallen immer mehr Menschen aus dem demokratisch rechten Millieu rechts raus.
Und vor dem Hintergrund dieser Erwägungen stellt sich die Frage, ob wir als Demokraten im Umgang mit der rechtsextremen AfD so weiter machen können.
Nach den Erfahrungen der Weimarer Republik wäre es für mich ein No Go, die AfD in die Ministerien zu lassen. Was dann passiert konnte man zB in Österreich oder den USA gut beobachten. Aber so sehr ich es materiell ablehne, auch noch kurz vor der Wahl irgendwelche Migrationsverschärfungen umzusetzen, muss man denke ich der Union erlauben können zu zeigen, dass sie in der Lage ist, ihre eigenen Positionen durchsetzen zu wollen. Damit sie sich in einem zweiten Schritt wieder so positionieren kann, dass ihr das gelingt, was ihr in bemerkenswerter Weise seit dem Ende des 2. Weltkriegs gelungen ist. Nämlich Menschen, die teilweise deutlich rechts der Mitte stehen, modernisierungs- bis fremdenfeindlich sind, im demokratischen Spektrum zu halten, oder, jetzt, sie wieder dorthin zurück zu holen. SPD, Grüne, FDP, Linke können das nicht können. Das kann nur die Union.
Und deshalb fange ich gerade an zu überlegen, ob nicht mindestens der Aufschrei, dass die Union keine Vorschläge einbringen darf, wenn die Gefahr besteht, dass ihr die AfD zur Mehrheit verhilft, angesichts von 20 % AfD inzwischen zu weit geht. Und ob Herr Linnemann vielleicht leider Recht hat, falls er mit seiner Aussage meint, dass Nazi-Bashing und ein Hochhalten einer Brandmauer statt konkreter Antworten für die Menschen, die aus dem demokratischen Spektrum gefallen sind, die AfD nicht kleiner, sondern größer gemacht hat, und wir als Demokraten deswegen für die Zukunft effizientere Strategien brauchen.