Vielen Dank für die Blumen. Nein, ich bin kein ausgelernter Werbefachmann. Einfach nur ein Fußballanhänger, der sich im Satz ausdrücken kann. Und Leutzscher nenne ich mich, weil ich in Leutzsch wohne.
Natürlich ist Chemie (oder irgendein anderer) nicht kaputt gegangen, weil die Leute weggeblieben sind. So schnell, wie die da die Insolvenzen fabriziert haben, konnte man mitunter gar nicht wegrennen. Da wird Ursache und Wirkung verwechselt.
Noch ein paar Informationen aus der Leipziger Fußballgeschichte: die Leipziger Vereine, die heute gerne als Traditionsvereine bezeichnet werden, waren in DDR-Zeiten alles Konstrukte. Das waren in den 40ern zunächst die Stadtteil-SGs, die dann von oben herab künstlich zusammengelegt wurden (bspw. ZSG Industrie - ein Chemie-Vorgänger). Dann waren die BSGs der große Renner, als dem Fußball eine ökonomische Basis gegeben werden sollte (Ende 40er/Anfang 50er). 1954 begann dann die Ära der SCs (Sportclubs), als jede Sportvereinigung (eine Art Sport-Teilverbände auf Grund der ökonomischen Basis: bspw. Dynamo-Polizei/Stasi/Zoll, Vorwärts-Armee, Chemie-Chemieindustrie, Einheit-staatl. Verwaltung usw.) als Zentrale einen Sportclub bekam. 1965/66 wurden aus diesen SCs (die mehrere Sportarten umfassten) reine Fußballklubs als Leistungszentren herausgelöst (10 Stück, Dynamo Dresden als SG mit gleichem Status als 11.), der Rest wieder willkürlich irgendwelchen Betrieben als BSGs angegliedert. Immer dirigistisch von oben auf Funktionärsebene, nie durch irgendwelche Mitgliederentscheidungen. Heute alles ganz toll und Tradition.
Besonders pikant ist die Tatsache, daß sich Chemie in seiner Tradition auf TuRa beruft. TuRa war nicht etwa ein gewachsener Mitgliederverein, sondern das RB der 30er. Automatenfabrikant Schwarz stampfte 1932 diesen Verein aus dem Boden, kaufte reichsweit Spieler zusammen, bezahlte die regelwidrig (weil Profifußball damals verboten war) und fegte aus der Kreisklasse bis in die Gauliga (damals oberste Spielklasse). Heute alles ganz toll und Tradition.
Die 16.734 Zuschauer im Schnitt letztes Jahr in der 3. Liga war der höchste Zuschauerschnitt in Leipzig in Punktspielen seit 1969/70 (damals Chemie 17.538 Oberliga/oberste Spielklasse). Die 42.713 gegen Saarbrücken waren auf den Tag genau die höchste Zuschauerzahl bei einem Punktspiel in Leipzig seit einem halben Jahrhundert (damals Chemie-Vorwärts 45.000 im vorentscheidenen Meisterschaftsspiel) und die höchste Zuschauerzahl nach der Wende bei einem Punktspiel auf Boden der ehemaligen DDR. Ja glaubt Ihr denn wirklich, das sei mit Werbefachleuten, Marketing … zu erreichen oder ist eine Folge dessen, daß die Leute hier einfach nur ein bissel zu lange in der Sonne standen, bis das Hirn Blasen schlägt?
Gern und oft wird davon geredet, man solle doch die Emotionen von Fußballfans respektieren. Warum schaffen es nun einige aus diesem Klientel mit mutmaßlich hoher Deckungsrate nicht, das gegenüber Menschen mit anderen Meinungen auch zu praktizieren?
Natürlich wäre es auch mir lieber gewesen, VfB und Sachsen wären Anfang der 90er zum VfB Sachsen zusammen gegangen und wir hätten seit 20 Jahren kontinuierlich Erst- und Zweitligafußball gehabt. Das haben Hardcore-Fanatiker auf beiden Seiten verhindert. Einen logischen Prozeß, den bspw. auch Köln (Wer trauert da heute noch der SpVgg Sülz hinterher?) oder Karlsruhe (da spielen auch nicht mehr Phönix und Mühlburg) durchgemacht haben. So haben wir zwei Jahrzehnte verloren und die Traditionsvereine stehen vor dem Scherbenhaufen dieser Kette katastrophaler Selbstüberschätzungen und Fehlentscheidungen.
Diese Traumtänzereien, Leipzig könne mal gleichzeitig einen Erst- und Zweitligisten haben und dauerhaft unterhalten, waren doch völlig absurd und an der Realität vorbei. Das war in der kleinen DDR möglich, schaffen heute gerade mal Metropolen wie München, Frankfurt oder Hamburg, vielleicht auch irgendwann mal wieder Köln und Stuttgart. Aber Leipzig hat doch nicht ansatzweise diese Wirtschaftskraft und potenzielle Sponsoren. Somit war Red Bull unser letzter Strohhalm, hier mal wieder was zu reißen.
Nein, ich bin nicht hier, um irgendjemanden zu überzeugen, das Konstrukt (was es zweifellos ist) oder das Produkt RB zu lieben. Ich wollte einfach nur aus meiner Situation als Betroffener meine Sicht der Dinge schildern. Trotz aller Emotionalität beim Fußball hoffe ich, daß mir das einigermaßen sachlich gelungen ist. So manche Spitze konnte aber auch ich mir nicht verkneifen.
Vielen Dank denen, die Verständnis für unsere Situation hier hatten. Vielen Dank auch denen, die kein Verständnis haben und trotzdem in der Lage waren, sich sachlich mit den Argumenten auseinanderzusetzen.
Tschüß und auf eine schöne Partie!